Als Kirchenhistoriker und Hochschullehrer prägte er Generationen von Studierenden und übte bedeutenden Einfluss auf das religiöse und politische Denken seiner Epoche aus. Sein Werk war jedoch nicht unumstritten, besonders seine Sichtweisen auf das Judentum riefen Kritiker auf den Plan.
Nach dem Abitur in seiner Heimatstadt und dem Beginn seines Theologiestudiums in Dorpat, setzte Harnack seine Ausbildung in Leipzig fort, wo er promovierte und sich habilitierte. Später lehrte er als Professor an verschiedenen deutschen Universitäten, bevor er eine lange und einflussreiche Karriere an der Universität Berlin begann.
Harnack und das Judentum
Harnacks Vorlesungen über „Das Wesen des Christentums“, die auf großes Interesse stießen, wurden gleichzeitig Anlass für scharfe Kritik. Konservative Theologen wie Theodor Zahn und Eduard Rupprecht attackierten seine Ansichten, und auch der jüdische Theologe Leo Baeck setzte sich in seinem Hauptwerk „Das Wesen des Judentums“ kritisch mit Harnacks Positionen auseinander. Baeck monierte insbesondere, dass Harnack jüdische Quellen, die er ablehnte, offenbar nie gründlich studiert hatte.
Harnack sah sich mit dem Vorwurf konfrontiert, in seinen theologischen Werken einen Antijudaismus zu pflegen. Er wollte das Christentum von der „Gesetzeszentriertheit“ des Alten Testaments lösen – eine Haltung, die Papst Benedikt XVI.- (1927-1922) als Erbe des Häretikers Marcion deutete. Dies führte dazu, dass Charlotte Knobloch, die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Harnacks Schriften als antisemitisch einstufte. Gleichzeitig stand Harnack dem politischem Antisemitismus ablehnend gegenüber. Diese differenzierte Haltung unterstreicht die Komplexität seiner Persönlichkeit und seines Erbes. Nichtsdestotrotz sollte die Rolle des antijüdischen Protestantismus, welcher das Erstarken des Antisemitismus in Deutschland unterstützte, nicht übersehen werden.
Politik und Wissenschaft
Harnacks Tätigkeit als Wissenschaftsorganisator und sein politisches Engagement waren weitere markante Punkte seiner Biographie. Seine Beratertätigkeit erstreckte sich bis hin zum damaligen Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg, mit dem er eine Politik des Ausgleichs und der Sozialreformen verfolgte. Jedoch ist seine Unterstützung für das sogenannte Manifest der 93 und andere nationalistische Tendenzen kritisch zu betrachten, da diese dem damaligen Zeitgeist entsprechend eine unkritische Haltung gegenüber militaristischen und imperialistischen Bestrebungen widerspiegelten.
Adolf von Harnack hinterließ ein ambivalentes Vermächtnis. Einerseits war er ein Liberaler und Reformator, der sich für Bildung und Frauenrechte einsetzte und ein visionäres, wenn auch nicht unkritisches Bild von Christentum und Gesellschaft zeichnete. Andererseits bleiben die Kritikpunkte an seinem Umgang mit dem Judentum und seine Rolle im nationalistischen Diskurs seiner Zeit problematische Aspekte seines Schaffens. Seine Arbeiten sind daher bis heute Gegenstand intensiver Debatten und reflektieren die Spannungen zwischen Theologie, Wissenschaft und Politik in der Moderne.