Geboren 1810 in eine orthodoxe Familie in Frankfurt am Main, entwickelte er bereits in jungen Jahren ein großes Interesse an Geschichte und religiösen Texten, welches ihn dazu brachte, die göttliche Autorität der Bibel zu hinterfragen.
Mit 17 Jahren begann Geiger, sich intensiv mit der Mischna auseinanderzusetzen, einer Sammlung jüdischer Gesetze und Traditionen. Seine Studien führten zu ersten Schriften, in denen er sich mit dem juristischen Stil der Mischna befasste und ein Wörterbuch des Mischna-Hebräisch verfasste. Trotz familiärer Bedenken nahm er ein Studium an der Universität Heidelberg auf und vertiefte sich dort in Philologie, Syrisch, Hebräisch und die Klassiker. Der Antisemitismus einiger seiner Professoren stieß ihn ab, doch er fand in Georg Freytag einen Mentor, unter dessen Anleitung er eine preisgekrönte Arbeit über den Einfluss der rabbinischen Literatur auf den Koran verfasste, für die ihm der Doktortitel verliehen wurde.
Als Rabbiner in Wiesbaden initiierte Geiger erste Synagogenreformen und gründete wissenschaftliche Zeitschriften, die zum Sprachrohr der jüdischen Gelehrsamkeit wurden. Seine Bemühungen, das Judentum zu erneuern, stießen jedoch auch auf Widerstand, insbesondere bei seiner Bewerbung um eine Stelle als Rabbiner in Breslau. Dennoch setzte er sich durch und wurde schließlich Oberhaupt der dortigen Gemeinde.
Geigers umfangreiches Werk umfasst neben seiner Dissertation vor allem das Werk „Urschrift und Übersetzungen der Bibel“, in dem er die liberale und demokratisierende Tradition der Pharisäer hervorhebt. Er vertrat die Ansicht, dass das wahre Judentum im Laufe der Geschichte immer wieder durch äußere Zwänge in eine starre Form gepresst wurde, die es zu überwinden galt.
Die Reformbewegung und das Erbe Geigers
Als Mitglied der Reformbewegung vertrat Geiger eine moderate Linie. Er setzte sich für die Nutzung der deutschen Sprache im Gottesdienst ein und entschärfte einige orthodoxe Praktiken, hielt aber an anderen fest, so z.B. an der traditionellen Beschneidung von Jungen. Geiger war ein Vordenker, der die Reformen nicht als Bruch, sondern als Rückkehr zu einem authentischen, ethisch fundierten Judentum sah.
Sein Engagement als Rabbiner in Frankfurt und später in Berlin, genauso wie seine Beteiligung an der Gründung der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin zeugen von einem unermüdlichen Streben, das Judentum zeitgemäß zu interpretieren und zu praktizieren. Als Abraham Geiger 1874 starb, hinterließ er ein Erbe, das das jüdische Denken und die religiöse Praxis bis heute beeinflusst. Abraham Geigers theologische Ansätze sind auch heute noch wichtig, denn sie sind ein gutes Beispiel dafür, wie Glaube und Vernunft in einem produktiven Dialog stehen können.
„Aus der Vergangenheit schöpfen, in der Gegenwart leben, für die Zukunft arbeiten.”